Griffcharakteristik
Dr. Vodder arbeitet mit kreisförmigen oder spiraligen Griffen, mit einem Druckanstieg auf 30 Torr (entspricht ca. 4 kPascal) und Abfall auf eine drucklose Phase.
Dieser Druckwechsel erzeugt die Pumpwirkung. Die Richtung des Druckanstieges liegt in Lymphabflussrichtung. Bei diesen Griffen besteht inniger
Hautkontakt, sodaß die Haut über dem darunterliegenden Gewebe verschoben wird.
Das bedeutet, daß meist auf trockener Haut gearbeitet wird. Nur an behaarten Körperteilen wird ein Tropfen Öl verwendet. Ebenso verwendet man etwas Öl, wenn die Haut unverschiebbar
ist(auf Narben, am Rand eines Ulcus, bei prallen Ödemen) oder bei sehr trockener oder rauher Haut (z. B. Ekzem).
Die Griffe werden monoton und rhythmisch durchgeführt. Die Geschwindigkeit der Grifffolge ist durch die Ruhefrequenz des Lymphgefäßes gegeben. Die Griffe dürfen weder
Hautrötung noch Schmerzen auslösen. Wenn wir heute für verschiedene Krankheitsbilder die sogenannten Therapiegriffe verwenden, so sind dies Griffe der Vodderschen Grundtechnik, die dem
jeweiligen Gewebezustand angepaßt und eventuell mit Bewegung kombiniert werden.
Vodder beginnt immer mit der Behandlung der Lymphknoten und Lymphgefäße am Hals und der Einmündung der großen Lymphbahnen in den beidseitigen Venenwinkel (Zusammenfluß von V. jugularis und V.
subclavia). Er nennt das „Freimachen der Drüsenketten bis zum Terminus".
Wesentlich für die Wirkung der Manuellen
Lymphdrainage ist nicht nur, daß sie fachgerecht von seiten der Technik ausgeführt wird, sondern daß auch die Behandlungszeit auf das Krankheitsbild abgestimmt ist.
Die Manuelle Lymphdrainage verwendet Behandlungszeiten, die sonst in der Massage ungewöhnlich sind. Sie liegen meist bei 30–45 Minuten, können aber bis auf eineinhalb Stunden – je
nach Indikation – erweitert werden.
Wirkungsweise
Die MLD hat 3 wichtige Effekte, die alle wissenschaftlich untersucht und bestätigt worden sind:
1. entstauender Effekt
Jegliche Schwellungen am Körper können sehr erfolgreich mit Manueller Lymphdrainage behandelt werden. Ausnahmen sind Herz- bzw. Nierenödem.
Das Lymphgefässsystem ist eine "Einbahnstrasse", die letzten Endes im rechten Herzen die lymphpflichtige Last (Eiweiß,- Fett, Zellen-und Wasserlast) aus dem Gewebe in den Kreislauf zurück
transportiert.
Man kann sich die Lymphe wie das Kanalisationssystem des menschlichen Körpers vorstellen. Überall wo "Müll", also Schlackenstoffe, Eiweiße, Wunden entstanden sind, muss das Lymphgefässsystem den
Abtransport desselben erledigen.
Durch die Grifftechnik kommt es zu einer pumpenden Wirkung im Gewebe. Die Eigenrhythmik der Lymphbahnen wird bis auf das 20fache angeregt.
2. sympathicolytischer Effekt
Die Manuelle Lympdrainage hat einen beruhigenden Charakter. Oftmals schlafen die PatientInnen bereits nach wenigen Minuten ein.
Rhythmische, monotone Abfolgen und eine gute Therapeutenhand sind Grundvoraussetzung für diesen Behandlungserfolg.
Sie haben Patienten, die sehr gestresst sind? Schlagen Sie ihnen doch einfach mal 6 x 30 min Lymphdrainage vor.
3. schmerzlindernder Effekt
Ähnlich wie bei einem Mückenstich, bei dem man grosse Hautareale durch "Kratzen" anregt und somit den Schmerz nicht mehr so stark spürt, wirkt die MLD sehr gut gegen
Schmerzzustände. (Gate-Control-Theorie).
Zudem bewirkt die MLD, dass Schmerzmediatoren schneller dem Lymphgefässsystem zugeführt werden und somit nicht mehr im Gewebe aktiv sind.
Jegliche Schmerzzustände wie z. B. Migräne, frische Verletzungen, Sudeck, Fibromyalgie etc. gehören zum Behandlungsfeld der Manuellen Lymphdrainage.
4. immunologische Wirkung
Die 3 erstgenannten Wirkungen der Lymphdrainage nach Dr. Vodder sind wie bereits erwähnt, oftmals untersucht und bestätigt worden.
Wir glauben, dass die Manuelle Lymphdrainage noch eine 4.Wirkung, die immunologische Wirkung hat.
Zum einen werden Bakterien und Allergene schneller zu den Orten der Körperabwehr (Lymphknoten) transportiert. Hierbei erfolgt durch die allgemeine Steigerung des Lymphtransports, eine
Sensibilisierung der Lymphocyten und Macrophagen.
Zum anderen können diese dann über die Blutbahn schneller am Ort des Geschehens eingreifen und ihre Arbeit (Phagozytose) verrichten, was wiederum zu einer verbesserten Immunisierung
beiträgt.
Indikationen
Die Indikationen der Manuellen Lymphdrainage sind sehr vielfältig, denn sie greift mit ihrer Wirkung in völlig unterschiedliche physiologische Funktionen des menschlichen Körpers ein. Sie stellt
eine Alternative oder wesentliche Ergänzung zu bisherigen Therapien aus dem großen Katalog der physikalischen Therapie dar.
- Lymphödeme der Extremitäten: Das können primäre oder sekundäre Lymphödeme sein, wie sie z.B. nach Ablatio mammae mit Entfernung der axillären Lymphknoten, nach Strahlenschädigung
der axillären oder inguinalen Lymphknoten oder der iliakalen oder lumbalen Lymphbahnen auftreten. Wenn hier die Manuelle Lymphdrainage auch nur in wenigen Fällen völlige Ödemfreiheit erzielen kann,
so schafft sie doch durch die Verringerung des Ödemausmaßes eine deutliche Besserung des Allgemein befindens. Die Kombination von ML, Kompressionsverband und Bewegungstherapie führt zu einer
optimalen Ödemreduktion. Bei ausgedehnten Ödemen an beiden Beinen wird man bei stationärer Therapie die Behandlung zweimal täglich ansetzen, um das bestmögliche Behandlungsergebnis zu erzielen. Die
langen Behandlungszeiten ergeben sich aus der Pathophysiologie des Ödemgewebes. In den gestauten Lymphbahnen muß die Lymphangiomotorik angeregt werden. Die stark proteinhaltige lymphpflichtige Last
muß Zentimeter für Zentimeter durch die gesamte ödematöse Subcutis der Extremität geschoben werden, bis sie an der Extremitätenwurzel funktionstüchtige Lymphgefäße erreicht. Fibrosen, die auf diesem
Weg als Hindernis liegen, müssen eigens zeitaufwendig behandelt werden. Sie sind ja auch häufig die Ursache späterer Komplikationen, wie Nervenlaesion und Lähmungen. Als Unterstützung der Manuellen
Lymphdrainage werden nach der Behandlung Stütz- oder Kompressionsverbände angelegt.
Bewegungsübungen in der Bandagierung fördern den Lymphabtransport ebenso wie Hochlagern der gestauten Extremität und Atemtherapie. Diuretika führen nur zu kurzfristiger Ödemausschwemmung. Das
Wasser, das hier entzogen wird, wird durch den Sog der im Gewebe liegenden Plasmaproteine sofort wieder ergänzt. Zusätzlich wird dadurch die Fibrosebildung gefördert, sodaß die mit Diuretika
behandelten fibrosereichen Ödeme schwer abzudrainieren sind.
- Traumatischen Schädigungen: Haematome, Distorsionen, Muskelfaserriß, Luxationen
Haematombehandlung und Nachbehandlung bei Frakturen geben umfangreiche Anwendungsmöglichkeiten für die Manuelle Lymphdrainage. Bei Haematomen muß die Behandlung möglichst
frühzeitig nach Blutungsstillstand einsetzen, bevor das Haematom einen Fibrin- und Leukocytenwall gebildet hat. Auch großflächige Haematome lassen sich mit wenigen, aber langen Behandlungen völlig
abdrainieren.
Bei Distorsionen und nach Luxationen wird bei der ML-Therapie auch ihre schmerzlindernde Wirkung ausgenützt. Hier wird die Haematombehandlung mit isometrischen
Spannungsübungen verbunden. Aktive Spannungsübungen und eine elastische Bandage ergänzen die Behandlung.
Die ML verkürzt beim Muskelfaserriß die Heilungsdauer ganz wesentlich.
- Bei Frakturen kann das Haematom bereits vor Versorgung mit Spaltgips sowie im Spaltgips behandelt werden, sodaß der Gehgips bald angelegt werden kann. Die ML-Therapie der
Haematome bei Frakturen ist ein wesentlicher Beitrag, um der Sudeckschen Dystrophie vorzubeugen. Auch bei der operativen Versorgung von Frakturen kann vor und nach der Operation die Manuelle
Lymphdrainage eingesetzt werden. Ebenso besteht die Möglichkeit, solange der Gipsverband liegt, kontralateral und proximal ableitend zu arbeiten. Bei Unterarmfrakturen, die mit einer Gipslonguette
versorgt sind, hat es sich bewährt, durch die Mullbinde ableitend mit ML zu arbeiten.
- Die Sudecksche Dystrophie ist in allen Stadien eine wichtige Indikation für die Manuelle Lymphdrainage. Hier spielt neben der Entödematisierung die schmerzlindernde Wirkung der
ML eine große Rolle. Dadurch werden relativ bald passive und aktive Bewegungsübungen möglich.
- Die Narbenbehandlung hat einen wichtigen Stellenwert. HUTZSCHENREUTER bewies in einer Untersuchung, daß die Behandlung mit ML eine bessere Wundheilung mit einer guten
Narbenbildung bewirkt. Bei einer bereits bestehenden Narbe wird eine Wiederherstellung des gestörten Lymphabflusses erzielt. Wenn Operationsnarben Lymphbahnen unterbrechen und sich dort lokale Ödeme
bilden, lassen sich diese abdrainieren, da die Verbindung der unterbrochenen Lymphbahnen wiederhergestellt ist. Ebenso gute Ergebnisse kann man bei großflächigen Narben, z.B. nach Verbrennungen,
erzielen. Hyperkeratotische Narben verlieren Juckreiz und Rötung und werden weich. Oft werden durch die Behandlung operative Narbenkorrekturen überflüssig. Allerdings ist die Narbenbehandlung
zeitaufwendig. Besonders bewährt hat sich die Manuelle Lymphdrainage auch nach kosmetischen Operationen.
- Viele Indikationen bieten die Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises. Soweit es sich um subakute, entzündliche Krankheitsbilder handelt, sind die Regeln der Behandlung
chronischer Entzündungen zu beachten: Beginn mit kurzer Behandlungszeit und langsamer Steigerung. Treten keine Zeichen einer akuten Reaktion auf, kann auf die volle Behandlungszeit gesteigert werden.
Hier bieten sich die rheumatischen Gelenkserkrankungen ebenso wie der Morbus Bechterew zur Behandlung an. Durch die schmerzlindernde Wirkung sowie durch die Entödematisierung kann eine bessere
Beweglichkeit erzielt werden.
- Die Arthrosen sind für die ML-Therapie sehr gut geeignet. Hier kann, je nach Ödemumfang, mit Wärmeanwendung kombiniert werden. Die Therapiegriffe der Manuellen Lymphdrainage
werden bei diesen Krankheitsbildern in Kombination mit Bewegungstherapie eingesetzt.
- Die Krankheiten der Gruppe des Weichteilrheumatismus (wie Tendinitis, Tendoperiostitis, Tendovaginitis, Bursitis, Periarthritis, Periarthrosen, Carpaltunnelsyndrom) zeichnen sich
durch gute Behandlungsergebnisse bei relativ langer Einzelbehandlungszeit aus.
- Erfahrungsgemäß ergeben Krankheiten, die mit lokalen Ödemen im Cerebralbereich einhergehen, ein Einsatzgebiet für die ML. Innerhalb des knöchernen Schädels gibt es keine
Lymphgefäße. Die dort entstehende lymphpflichtige Last wird über die Virchow-Robinschen Räume in den Gefäßwänden und über die Arachnoidalscheiden entlang der Riechnerven und Sehnerven zu den
Lymphgefäßen von Hals und Gesicht abdrainiert. Durch die Mundinnendrainage ist eine cerebrale Entstauung möglich. Auf diesem Wege lassen sich Commotio cerebri, Apoplexie, Kopfschmerz und Migräne
günstig beeinflussen. Auch Krankheiten, die mit lokalen Ödemen im Bulbus, Rückenmark oder im Verlauf der peripheren Nerven einhergehen, zeigen unter ML-Therapie deutliche Besserung. Erwähnt werden
soll die ML-Therapie bei Facialisparese, Zosterneuralgie und multipler Sklerose. Die ML wird in die bewährten Therapien integriert. Auch beim Morbus Down läßt sich eine gewisse Besserung des
Allgemeinzustandes erzielen.
- Ödematöse Veränderungen beim postthrombotischen Syndrom können ebenso abdrainiert werden, wie auch Ulcera cruris verschiedener Genese (venös und diabetisch) durch ML zur
Abheilung gebracht werden.
- Es gibt noch eine Reihe anderer Indikationen, die auf neueren Erfahrungen mit der ML beruhen, als Beispiel seien genannt: Mastodynie, die sogenannte
„Cellulitis", Fibromyalgie, Sklerodermie. Vodders Manuelle Lymphdrainage kommt aber auch den Gesunden zugute. Schon längst wissen Frauen die
ML-Therapie bei Schwellungen der Beine und zur Vorbeugung der Striae während der Schwangerschaft zu schätzen! Im Wochenbett unterstützt die ML die Laktation der Brust nach Geburt
eines Kindes.
Kontraindikationen
- Akute Infektionen
- Jede akute Thrombose mit Emboliegefahr stellt eine absolute Kontraindikation dar.
Vorsichtsmaßnahmen
Krankheitsbilder, bei denen Vorsichtsmaßnahmen beachten werden müssen:
- bei Ödemen, die infolge einer Carcinomtherapie entstanden sind
- bei Schilddrüsenfunktionsstörungen
- chronischen Entzündungen
- Asthma bronchiale
- Hypotonie
- Bei Ödemen, die durch cardiale Dekompensation entstanden sind, soll nicht manuell abdrainiert werden, da es sonst zu schweren cardialen
Dekompensationserscheinungen kommen kann.